Nachdem Zerwirkprofi Thorsten Wagner im ersten Teil der Serie beschrieben hat, wie ein Reh richtig aufgebrochen wird, und im zweiten Teil, wie ein Reh richtig aus der Decke geschlagen wird, zeigt er uns heute, wie ein Reh richtig zerwirkt wird.
Ist unser Reh ordentlich abgehangen und sauber aus der Decke geschlagen, kommt für mich der schönste Teil des Zerwirkens: Wir zerlegen das Wild in seine Einzelteile und gewinnen möglichst perfekte Küchenstücke für den ultimativen Genuss.
Das abgehangene und abgezogene Reh hängen wir wieder an einem der Hinterläufe an den Haken, um bequem und sauber arbeiten zu können. Dazu brauchen wir wiederum zwei Messer mit gerader und geschwungener Klinge, Akkuknochensäge oder Knochenschere sowie Gummihandschuhe und optional einen Rippenzieher sowie Stechschutzhandschuhe und Schürze.
Als erstes trennen wir die Schultern ab. Dazu ziehen wir mit der freien Hand den Vorderlauf weg vom Körper und setzen das Messer hinter dem Blatt in der Achsel an. Von hier aus lassen sich das Muskelgewebe und die Sehnen leicht abschärfen, bis der Lauf nur noch am Knorpel des Schultergelenks hängt. Dann legen wir uns eine Sollbruchstelle frei, indem wir mit dem Messerrücken quer über das Blatt fahren. Wenn wir es jetzt überstrecken, bricht der Knorpel an der gewünschten Stelle und die Hachse lässt sich mit einer ruckartigen Bewegung lösen.
Wenn wir beide Schultern abgetrennt haben, geht es weiter mit den Rippen. Dazu beginnen wir den Schnitt in Verlängerung der Keuleninnenseite und fahren in einer ganz leicht geschwungenen Linie vorsichtig Richtung Brustkorb hinab. Die Fleischlappen aus der seitlichen Bauchdecke lassen sich sehr leicht durchschneiden.
Wenn wir mit dem Messer abwärts auf den ersten Rippenbogen treffen und nicht mehr weiterkommen, markieren wir uns den weiteren Schnittweg, indem wir mit der Messerspitze eine gerade Linie in die Flanke über dem Brustkorb ritzen. Diese Linie sollte etwa eine halbe Handbreit parallel zur Wirbelsäule verlaufen.
Entlang dieser Linie schneiden wir nun die Rippen mit Hilfe einer Knochenschere durch. Optional kann man auch eine manuelle oder elektrische Knochensäge verwenden.
Nachdem wir die Rippenpartien auf beiden Seiten entsprechend abgetrennt haben, bleibt nur das komplette Rückenstück mit Hals und die beiden Hinterkeulen hängen.
Jetzt lösen wir den Rücken und Nacken vom Becken mit den beiden Keulen. Dazu stechen wir mit der Messerspitze in die letzte Bandscheibe im Beckenkanal. Dort durchtrennen wir die Bandscheibe und Filetköpfe mit einem geschwungenen Schnitt entlang der Beckenschaufeln. Anschließend lässt sich der Rücken nach hinten überstrecken und die Wirbelsäule mit ein wenig Kraft in einer ruckartigen Bewegung abbrechen. Bei Bedarf helfen wir mit dem Messer nach.
Im nächsten Schritt lösen wir die beiden Keulen vom Beckenknochen ab – und zwar im Hängen. Dazu packen wir mit der freien Hand die eine Keule und spreizen sie leicht ab. Dann setzen wir das Messer an der Beckennaht zwischen den Keulen an und führen die Klinge eng am Beckenknochen entlang. So legen wir das Hüftgelenk samt Gelenkkugel frei. Jetzt lässt sich die Keule durch leichten Zug nach unten und vorsichtige Schnitte am Knochen entlang ablösen.
Sind die Keulen ausgelöst, trennen wir noch den Hals vom Rücken ab. Am besten gelingt dies, wenn man den Rücken auf einen Tisch oder eine Arbeitsplatte legt und den überstehenden Nacken bis zur Halswirbelsäule einschneidet. Dann überstrecken wir die Wirbelsäule und knacksen sie komplett ab. Zum Schluss durchtrennen wir mit dem Messer noch Sehnen und Fleisch.
Alle grob zerwirkten Teile auf einen Blick: Keulen, Schultern, Rippen, Nacken und Rücken. Jetzt kommt der letzte Schritt – das Feinzerwirken dieser Teile in küchenfertiges Wildbret.
Das Feinzerwirken in küchenfertiges Wildbret
Keule
Zuerst nehmen wir uns die Keulen vor – und lösen sie am Arbeitstisch aus. Dabei trennen wir die Oberschenkel von den Unterschenkeln ab, indem wir das Kniegelenk mit dem Messer im Knorpel durchtrennen.
Vom Unterschenkel können wir Gulaschfleisch ablösen – kulinarisch interessanter ist der Oberschenkel, der sich in einige der besten Stücke des ganzen Wildbrets zerlegen lässt: Nuss, Oberschale, Unterschale samt Rolle und Hüfte mit sogenanntem „Bürgermeisterstück“.
Mit dem Messer legen wir feinsäuberlich die Oberschenkelknochen frei und entfernen die Kniescheibe.
Die einzelnen Fleischpartien der ausgelösten Keule sind durch deutlich sichtbare Knochenhäute quasi in natürliche Pakete verpackt. Sie lassen sich durch vorsichtiges Drücken und Ziehen mit den Fingern voneinander trennen. Dabei können wir auch mit dem Messer nachhelfen, um die Häute zu lösen.
Diese schönen Stücke aus der Keule lassen sich später in der Küche zum Beispiel in Steaks, Braten, Gulasch, Hackfleisch oder Schinken verwandeln.
Schulter (Blatt)
Jetzt sind die Schultern dran, sofern sie nicht durch den Schuss zerstört wurden. Ähnlich wie die Keulen, zeichnen sie sich durch gut definierte Muskelpakete aus, die wir nacheinander von den Knochen lösen.
Durch den höheren Sehnenanteil eignet sich die Schulter sehr gut zur Verarbeitung als Schmorbraten, Gulasch oder Hackfleisch.
Rücken
Jetzt nehmen wir uns den Rücken vor, der wohl die besten Fleischstücke bereithält. Als erstes lösen wir sehr vorsichtig die Filetstränge aus der Unterseite des Rückens heraus. Sie liegen direkt auf der Wirbelsäule auf und lassen sich unter leichtem Zug und mit vorsichtigen Schnitten vom Knochen trennen. Hier lohnt es sich, ganz genau hinzuschauen und mit chirurgischer Präzision zu arbeiten – denn jeder extra Zentimeter Filet bedeutet später mehr Genuss.
Dann drehen wir den Rücken um. Mittig schneiden wir durch das Fleisch – die Messerspitze fährt dabei entlang der Dornfortsätze längs über die Wirbelsäule. Wir ziehen die beiden Fleischhälften auf beiden Seiten auseinander und schieben die Messerklinge so dicht wie möglich an den Rippenansätzen entlang. Dabei arbeiten wir uns in kleinen Schabebewegungen am Knochen voran, um möglichst wenig Fleisch liegen zu lassen. Am Ende dieser Prozedur können wir die beiden Lendenstücke (Rückenlachse) von der mit freigelegten Silberhaut abziehen.
Der Rücken ist das wertvollste Teil des Wildbrets und vielseitig verwendbar: Er lässt sich zu Steaks, Braten, Carpaccio und Schinken veredeln – aber auch als Gulasch oder Hackfleisch verwerten. Oder man macht ihn ganz klassisch am Knochen.
Nacken
Das Fleisch des Nackens lässt sich recht gut vom Knochen ablösen und ist durch viele Muskelhäute und Sehnen recht kleinteilig strukturiert. Daher eignet sich der Nacken besonders gut für Gulasch, Hackfleisch oder auch Ragout.
Rippen
Zum Schluss lösen wir die Rippen aus den Flanken. Hierzu kann man entweder einen speziellen Rippenzieher verwenden, um die einzelnen Rippen herauszureißen, oder man benutzt ein normales Messer und schneidet auf beiden Seiten entlang jeder Rippe ein und löst den Knochen dann fast wie eine sehr dicke Gräte heraus.
Aus dem Rippenfleisch lassen sich Spare Ribs, Gulasch, Ragout, Rollbraten oder auch Hackfleisch für leckere Burger machen – vorausgesetzt, dass Reh ist stark genug und hat im wahrsten Sinne des Wortes genug Fleisch auf den Rippen.
Perfekt: Frisch vakuumiert lässt sich das Premium-Wildfleisch sauber lagern und vermarkten. Und natürlich jederzeit wieder auspacken, um es zu genießen!
Bei weiteren Fragen und für Tipps rund um die vollendete Wildbretzubereitung wenden Sie sich direkt an Thorsten Wagner, besuchen seine Zerwirkkurse oder seine Webseite www.zerwirkprofi.de
Bildmaterial von Nikolas Winter bei pirschfilm.com
4 Antworten
Habt ihr das Stück Rehwild mit der Schlinge gefangen?
Ansonsten 👍
Ich vermute einen Träger- oder Hauptschuss. Ist zwar ein hohes Risiko aber manche Jäger schwören drauf, da man ja sonst paar hundert Gramm Fleisch von den Rippen oder Schultern verlieren könnte.
Schön wäre es wenn die einzelnen Muskelstücke von der Keule z.B. näher Beschriftet wären. Gerade Jungjäger schauen sich ja solche Artikel an…und für die wäre es hilfreich
Hallo zusammen,
ich muss Felix Recht geben. Für Jungjäger wäre es sehr hilfreich, wenn es eine Aufstellung der einzelnen Muskelstücke von der Keule geben würde. Gerade hier ist es für mich schwierig zu sagen, welches Stück wie weiter verarbeitet werden kann. Braten, Gulsch etc….. Ich würde mich sehr freuen.
Viele Grüße und ein kräftiges Waidmannsheil
wünscht allen
Gundula
Typischerweise werden die Keulen entlang des Ileo-Sakralgelenk gewonnen – und nicht durchs Hüftgelenk
die Beckenschaufel verbleibt an der Keule und erhält primär die fasziengeschützte Kontur der beteiligten Muskeln.
Auch bei der Abtrennung des Haxls orientiert man sich an der anatomischen Struktur und schneidet nicht quer durch den Muskel