Die Bockjagd ist in vollem Gange und nicht selten stellt sich nach dem erfolgreichen Schuss die Gretchenfrage: Wo Aufbrechen – im Revier oder in der Wildkammer? Der gelernte Metzger, Jäger und Zerwirkprofi Thorsten Wagner zeigt, warum die Wildkammer der bessere Ort ist und wie man seine Beute in das perfekte Genussobjekt verwandelt.
Thorsten Wagner jagt leidenschaftlich gern mit Begehungsschein im oberbayerischen Traumrevier. Hier gibt es an jeder Austrittsfläche meist Rehwild-Anblick vom Feinsten. Aus Faszination für das Genussmittel Wild übernimmt er für seine Mitjäger und den nahegelegen Forstbetrieb nicht selten die Fleischveredelung und bietet auch professionelle Zerwirk-Kurse für alle Interessierten an (buchbar unter www.zerwirkprofi.de).
Perfekter Genuss beginnt mit einem sauberen Schuss
„Für mich beginnt der perfekte Genuss unbedingt mit einem sauberen Schuss. Ich selbst bevorzuge auf Rehe die .222, aber natürlich kommt es weniger auf das Kaliber an, als auf einen guten Treffpunkt. Und der liegt für mich definitiv in der Kammer. Haupt- und Trägerschüsse vermeide ich persönlich, denn aus der Verwertungsperspektive ist nichts gegen einen guten Kammerschuss zu sagen. Viel wichtiger ist die ordentliche Nachversorgung.“
Aufgebrochen wird möglichst in der Wildkammer
Thorsten bringt seine Rehe zum Aufbrechen und Zerwirken am liebsten in die Wildkammer. Dort lässt es sich einfach hygienischer und vor allem auch einfacher arbeiten. Ausgenommen im Hochgebirge oder auf der Drückjagd, wo auch er direkt im Wald oder am zentralen Aufbrechplatz aufbricht! Wer den Luxus einer gut und zeitnah erreichbaren Wildkammer hat, sollte sie jedoch für die gesamte Nachversorgung der Beute nutzen. Dabei bedenken: Die natürliche Darmbarriere bricht etwa 45 Minuten nach der Erlegung zusammen, bis dahin sollte das Stück also in jedem Fall aufgebrochen sein!
„Meine Rehe ziehe ich meist ganz klassisch an den Vorderläufen in Strichrichtung des Fells zum Auto. Das funktioniert bei einem Gewicht bis 25 Kilo auch unaufgebrochen noch recht gut, wenn das Gelände nicht zu steil oder hindernisreich ist. In schwierigeren Fällen kann man einen Hilfsgurt benutzen, den man um die Hüfte oder Schulter legt und sich dann mit vollem Körpereinsatz reinlegen. Außerdem ist die sportliche Herausforderung für mich Teil der Jagd, für mein nächstes Festmahl bin ich gerne bereit zu schwitzen.
Die Wildwanne außerhalb des Autos hat viele Vorteile: Schmutz und Geruch bleiben draußen. Und man muss das Stück beim Be- und Entladen nicht ganz so hoch heben. Mit dem Spanngurt ist das Reh schnell fixiert, also auf zur letzten Reise – direkt in die Wildkammer!
„Als gelernter Metzger gibt es für mich keinen besseren Ort zum Aufbrechen als die Wildkammer. Hier ist es hell und sauber, ich kann das Reh am Aufzug aufhängen und viel ergonomischer und reinlicher arbeiten als am Boden im Revier. Außerdem gibt es natürlich fließend Wasser und alle Werkzeuge, die man eventuell mal braucht und draußen eher nicht dabei hat.
An den Hinterläufen aufhängen und ringeln
Zum Aufbrechen verwendet Thorsten am liebsten ein klassisches Jagdmesser mit massiver Edelstahlklinge und griffigen Hirschhorn-Schalen. Funktionalität und Tradition in schärfster Kombination.
„Zuerst schneide ich zwischen Sehne und Knochen die Hinterläufe ein. Dort kann ich das Reh dann perfekt aufhängen. Und zwar immer mit dem Kopf nach unten, weil ich beim Aufbrechen ja eh hinten anfange und weil der Schweiß so durch die Schwerkraft nach unten ablaufen kann.“
„Wenn das Reh ordentlich an beiden Hinterläufen hängt, geht es richtig los: mit dem Ringeln. Ich ringele jedes Stück Wild und rate jedem, es auch zu tun – egal ob in der Wildkammer oder im Revier draußen. Denn das Ringeln wirkt sich positiv auf die weitere Wildbretverwertung aus und ist überhaupt nicht kompliziert.“
Thorsten benutzt entweder das normale Messer oder diese Ringelhilfe aus Edelstahl. Er packt das Reh beim Wedel und führt die Ringelhilfe so tief in das Waidloch ein, bis die Zacken sich im Enddarm verhaken. Die Blase im Beckenkanal kann dabei nicht durch die Ringelhilfe verletzt werden! Dann dreht er die Ringelhilfe einige Male wie einen Korkenzieher um die Längsachse, dadurch löst sich das Bindegewebe zwischen Darm und Becken. Vorsichtig zieht er den Darm etwa 10 cm heraus.
„Bevor ich den Enddarm abschneide, entferne ich vorhandene Losungsperlen durch Abstreifen nach innen oder außen und stopfe dann den Rest des Darms sauber zurück durch das Loch in den Beckenkanal. Saubere Sache – ich muss kein Schloss aufbrechen und riskiere nicht, dabei Wildbret zu verletzen und zu verunreinigen oder einfach mehr Fleischfläche der potenziellen Austrocknung preiszugeben.“
Das eigentliche Aufbrechen
Nach dem Ringeln geht es klassisch weiter: Thorsten schärft das Kurzwildbret (Geschlechtsteile beim männlichen Schalenwild) vorsichtig ab, ohne dabei die Bauchdecke zu verletzen. Dann fährt er mit der Messerspitze direkt unter der Bauchdecke hinab bis zum Ansatz des Brustbeins. Dabei schützen die unter den Rücken der Messerklinge gelegten Mittel- und Zeigefinger die Organe vor der Messerspitze.
Während die eine Hand das Messer führt, schützt die andere Hand mit zwei Fingern das „drückende“ Gescheide vor der Messerspitze.„Wenn ich am Brustbein angelangt bin, kann ich alles Gescheide hinter dem Zwerchfell ausräumen: Pansen, Magen, Milz, Blase und Därme. Die Nieren belasse ich im Wildkörper als Schutz vor Austrocknung! Durch die Schwerkraft fällt das ganze Paket fast schon von selber heraus. Am Ende drücke ich mit den Fingern den Schlund zwischen Magen und Zwerchfell zusammen und schneide ab. Das ist am aufgehängten Reh in aufrechter Körperhaltung viel angenehmer als kniehend über dem liegenden Stück. Hierbei überprüfe ich gleich auch die Organe auf Veränderungen oder auffällige Merkmale.“
Links: Die Blase wird an der Harnröhre zugedrückt und vorsichtig entnommen. Rechts: Durch die Schwerkraft fällt das Gescheide von selbst nach unten.
Sauberer geht´s nicht
Hier wird der Vorteil des Ringelns auf einen Blick deutlich: sauberer geht es kaum. Dank des intakten Schlosses und der verbliebenen Nieren besteht nur geringe Austrocknungsgefahr. Hinten ist der Beckenkanal und die Waidlochöffnung zu erkennen, durch die der Enddarm führte. Natürlich kann man zum Ringeln auch das Jagdmesser benutzen. Dann zieht man mit dem Finger den Enddarm ein Stück weit heraus und schneidet ihn von außen eng um das Waidloch herum ab.
„Ist die Magenhöhle leer, öffne ich als nächstes den Brustkorb. Dazu benutze ich entweder das normale Jagdmesser und breche das Brustbein mit Krafteinsatz längs nach unten auf oder ich benutze eine Knochenschere. Die kann vor allem bei älteren Stücken mit verhärteter Knochensubstanz hilfreich sein. Ich schneide über das Brustbein hinaus auch gleich die Kehle bis zum unteren Kinn mit auf.“
„Aus dem geöffneten Brustkorb kann ich jetzt Leber, Lungen und Herz entnehmen, sofern es nicht zerschossen wurde. Dann ziehe ich Luft- und Speiseröhre mitsamt dem Lecker heraus. Er es mag, kann die Innereien natürlich verwerten und leckere Gerichte daraus zubereiten.“
Thorsten präsentiert die Organe aus dem Leben samt Speiseröhre und Lecker. Danach heißt es Saubermachen! Dank Wasseranschluss und Schlauch mit dosierbarer Spritzdüse lässt sich das Reh sehr effizient und bequem ausspülen. Auch die Wildkammer ist schnell wieder gereinigt.
„Wenn ich mit dem Aufbrechen fertig bin, kommt das Stück gleich in den Wildkühlschrank zum Auskühlen. Etwa drei Tage bei knapp 6 Grad – dann geht es weiter mit Abziehen und Zerwirken. Wie das funktioniert, seht Ihr in der nächsten Folge dieses Blog-Beitrags.“
25 Antworten
Super Beitrag! Konnte das Ausnahmetalent von Thorsten selbst schon in einem seiner Kurse erleben, absolut Top! Jagdliches Handwerk vom Feinsten 😉
Vielen Dank!
Grundsolide auf den Punkt gebracht. Bestes Handwerk und die Fähigkeit der Vermittlung dessen, worauf es wirklich ankommt. Weiter so und Danke!
Danke, das freut uns sehr!
Wir schlagen das Reh gleich nach dem Aufbrechen aus der Decke und hängen es maximal 2Tage in die Kühlung. Nach dem Zerwirken wird es Vakuumiert und im Kühlschrank die Reifung für mehrere Tage eingeleitet.
Vielen Dank für den Hinweis auf diese Variante.
Das Bild im Beitrag zeigt einen Schnitt zwischen Mittelfußknochen und Sehne. Der Schienbeinknochen folgt im Anschluss an das Gelenk und der Oberschenkelknochen ist bei Schalenwild verkürzt und nicht als solcher von Außen erkennbar.
Hallo Frank,
vielen Dank für den Hinweis, wir werden das in der Bildbeschreibung ändern.
Ihr Frankonia-Team
Eine schöne Darstellung. Ich persönlich finde es jedoch praktischer, zunächst an der Drossel zu beginnen und bis zum Brustbein vorzuschärfen. So kann man später „in einem Rutsch“ das Gescheide entnehmen. Ist Wahrscheinlich aber Geschmackssache. Schließe mich weiterhin Claus Ruckenbrod an: Abhängen in der Decke muss nicht sein.
Hallo Manuel,
vielen Dank für den Tipp! Auf diese Weise hat man beim Aufschärfen des Trägers „freie Hand“ und es drückt noch kein Gescheide von oben nach.
Ihr Frankonia-Team
Eine super Darstellung unter idealen Voraussetzungen. Die Praxis sieht allerdings meist anders aus und erfordert häufig die Notwendigkeit unmittelbar im Revier das Stück zu versorgen. Erst recht bei Drückjagden kommt man um die alte Methode – auf dem Boden liegend – nicht herum. Wenn man allerdings die Möglichkeit hat, das Wild wie dargestellt zu versorgen, sollte man es in jedem Fall tun, denn schließlich versorgen wir ein wertvolles Lebensmittel.
Vielen Dank für den Hinweis! Die Organisation bei Drückjagden muss immer auch die Wildbretversorgung umfassen, denn hier ist die zeitliche Komponente extrem wichtig. Es hilft nichts, wenn das Wild zwar sauber in der Wildkammer aufgebrochen wird, aber vorher über längere Zeit unaufgebrochen auf der Stecke lag.
Die vorgestellte Arbeitsweise ist leicht nachzuvollzuziehen und garantiert ein Maximum an Hygiene. Persönlich ziehe ich es vor, noch am Erlegungsort einen Bauchschnitt anzubringen und das große und kleine Gescheide sofort zu entnehmen. Mein Zeitrahmen für den Transport verlängert sich und ich muss das Gescheide nicht wieder aus der Wildkammer entsorgen. Auch der Transport auf dem Heckträger ist möglich, wenn ich das Stück mit dem Rücken gegen die Fahrtrichtung verlade. Ringeln und Entnahme des kleinen Jägerrechts erfolgen dann in der Wildkammer, die auf jeden Fall nicht mit Darminhalt verunreinigt werden kann. Ob man danach gleich aus der Decke schlägt – am warmen Stück auf jeden Fall leichter – oder nach der Reifung ist eine Zeit und Geschmacksfrage.
Vielen Dank für Ihre Beschreibung. Wenn die Wildkammer nicht direkt im Revier liegt, ist der Zeitfaktor, wieder zurück ins Revier zu fahren, um den Aufbruch zu entsorgen, ein gutes Argument aus der Praxis. Beim Transport von aufgebrochenem Wild auf dem Heckträger empfehlen wir zumindest eine Wildwanne, um den Wildkörper vor Abgasen sowie aufgewirbeltem Staub und „Gischt“ zu schützen.
– aufgehängt wird am Haupt
WER HAT DENN NUN RECHT ? Am Haupt aufhängen ( K. Meurer ) oder an den Hinterläufen ( Thorsten Wagner ) ?
Ich bevorzuge die Technik mit den Läufen nach oben weil auch in Schlachthöfen/Metzgereien die betäubten Tiere an den Füßen an einer Hochbahn aufgehängt werden um Verschmutzungen und einer mikrobiologischen Kontaminationen vorzubeugen. So wird der Tierkörper von oben nach unten her bearbeitet weil ja der Schweiß durch den Schwerpunkt an der tiefsten Stelle(Einschuß, Ausschuß) oder Haupt abfliesen kann ohne die Edelteile wie Keule und Rücken zu verunreinigen.
Danke für den hilfreichen Beitrag.
Ich hätte noch eine Frage zum entfernen des Enddarms. Wenn ich diesen abtrenne und wieder durch das Loch in den Beckenkanal führe, kann dort dann nicht Losung bzw. die Vorstufe von Lösung heraustreten und somit die Keulen verunreinigen?
Durch das Abstreifen des Darms nach außen fallen nur vereinzelt Losungsperlen nach innen. Diese fallen dann durch den Beckenkanal nach unten und kommen so nicht in Kontakt mit dem Wildbret.
Welches Teil vom Reh könnte eines als Spitz bezeichnetes sein? Kann das eine österreichische Ausdrucksweise sein? Haben Rehfleisch bekommen und auf einem steht „Spitz“ oben. Danke für eure Hilfe 🙂
Diese Bezeichnung ist uns auch nicht geläufig. Wenn ein anderer Leser den Begriff kennt, bitte hier kommentieren. Vielen Dank.
Wie wirkt es sich auf die Fleischqualität aus, wenn das Wild vor dem Abhängen aus der Decke geschlagen wird?
In Skandinavien werden z.B. größere Stücke (Elch) sofort aus der Decke geschlagen.
Der Spitz vom Reh ist die Spitze vom Kurzwildbret. Das ist bei uns in Österreich eine Spezialität.
Wie groß ist der Anteil vom Aufbruch am Gesamtgewicht oder vom Aufbruchgewicht? Die Info wäre hier auch nett zu lesen.
Guten Tag Frau Mayer,
vielen Dank für Ihren Kommentar und Ihre Frage.
Das Aufbruchgewicht beim Schalenwild macht ca. 25% des Lebendgewichts aus.
Viele Grüße
Ihr FRANKONIA Team