„Als Pfarrerin auf die Jagd – wie geht denn das zusammen?“ – so werde ich gelegentlich gefragt. Und tatsächlich: Mein Weg zum Jagdschein ist vielleicht etwas ungewöhnlich. Ich bin evangelische Pfarrerin, stamme nicht aus einem jagdlichen Haushalt und der Gedanke, Jägerin zu werden, wäre mir vermutlich auch nicht ganz von selbst in den Sinn gekommen. Bis vor einigen Jahren – ich war im Vikariat, das ist die zweijährige praktische Ausbildung, die sich an das Theologiestudium anschließt – als mich jemand auf die Idee brachte. Zu uns in die Ausbildungsstätte kam die Talar-Schneiderei Wasmer, um uns unsere künftige Dienstkleidung anzupassen. Um dem ansonsten protestantisch-schwarzen Gewand eine individuelle Note zu verleihen, durfte man sich einen Stoff für das Innenfutter aussuchen. Meine Wahl fiel auf ein Motiv mit Enten und Dackeln – „wilde Jagd“ hieß das Design. Da fragte mich der Gewandmeister in breitem Fränkisch: „Ja sind Sie denn auch Jägerin?“ – damals habe ich verwundert verneint. Aber der Gedanke, es einmal werden zu können, der blieb.
Als Pfarrerin auf die Jagd
Umsetzen ließ er sich allerdings erst einige Zeit später, während meiner Promotion. Den ganzen Tag über Büchern brütend, beschlich mich das Gefühl, dringend einen praktischen Ausgleich zu all der Kopfarbeit zu brauchen. Da fielen mir Herrn Wasmers Worte wieder ein: „Sind Sie denn auch Jägerin?“. Kurzerhand ging ich zu einer Informationsveranstaltung für die Jungjägerausbildung bei der Jägervereinigung Marburg und blieb dabei – in all meiner damaligen Ahnungslosigkeit. In meinen Kurs waren überwiegend Leute mit jagdaffinem Familienhintergrund oder Besitzerinnen und Besitzer eines Jagdhundes. Schon meine Vorstellung in der Begrüßungsrunde sorgte für einige Belustigung, als ich sagen musste: „Ich bin Pfarrerin und ich habe weder einen Hund noch einen Jäger“. Aber ich hatte schnell das Gefühl, willkommen zu sein und der Verein war mir eine große Hilfe. Mit meinem vom damaligen Ausbildungsleiter vermittelten „Lehrprinzen“ verbindet mich noch heute eine intensive Freundschaft und ich bin weiterhin in seinem Revier in der Nähe von Marburg jagdlich unterwegs, obwohl mein Mann und ich inzwischen aus beruflichen Gründen in Darmstadt zuhause sind.
Gemeinschaft und jagdliches Ethos
Das Revier, in dem ich mit rausgehe, hat ca. 650ha Wald und Feld mit Schwarzwild und Niederwildbestand. Da ein Großteil der Fläche land- und forstwirtschaftlicher Bewirtschaftung unterliegt, ist uns ein gutes Verhältnis mit den beteiligten Akteuren sehr wichtig. Noch wichtiger ist aber die Pflege unserer Gemeinschaft im Revier. Über die Jahre sind gute Freundschaften entstanden – auch mein Mann ist darüber zur Jagd gekommen. Oft sitzen wir in der Dämmerung zusammen am Lagerfeuer vor unserer Jagdhütte und teilen neben jagdlichen Erlebnissen auch Freude und Kummer aus unseren persönlichen Lebensgeschichten. Eine große Rolle spielt bei unserer Jagdausübung die Pflege des jagdlichen Brauchtums und der Waidgerechtigkeit, auch der Hegegedanke ist bedeutsam für uns.
Wildtiere sind Mitgeschöpfe
Ich persönlich finde es wichtig, sich bei jedem Stück Wild bewusst zu machen, dass es ein Lebewesen ist – religiös gesprochen „ein Mitgeschöpf“ – mit dem man es zu tun hat. Da kann es geboten sein, im Zweifelsfall den Finger auch mal gerade zu lassen. Mir fällt es niemals leicht, ein Leben zu nehmen. Ja, ich glaube sogar, dass eine gewisse Tötungshemmung ein zutiefst menschliches Phänomen ist, das dabei hilft, seine Fähigkeiten nicht zu überschätzen und dem Wild mit „Ehrfurcht vor dem Leben“ (nach Albert Schweitzer) zu begegnen. Zugleich freue ich mich aber auch über ein sauber zur Strecke gebrachtes Stück. Und selbst der Teil meiner Familie, der meiner Jagdausübung zunächst skeptisch gegenüberstand, weiß inzwischen einen schönen Wildbraten zu schätzen.
In unserem Revier wird möglichst jedes Stück brauchtumsgerecht verblasen. Irgendwann werde ich vielleicht auch noch lernen, das Jagdhorn zu spielen, um diese Tradition fortsetzen zu können. Und natürlich: „Jagd ohne Hund ist Schund“ – und so bin ich sehr dankbar, dass wir in unserem Revier mehrere ausgebildete Jagdhunde vom Teckel bis zum Gordon Setter zur Verfügung haben (auch wenn mein Mann und ich in unserer urbanen Wohnsituation und unserer beruflichen Gebundenheit selbst keinen Hund führen). Wir passen aber gelegentlich auf die Vierbeiner unserer Mitjäger*innen auf und haben sie alle tief ins Herz geschlossen.
Spiritualität und Brauchtum: Hubertus
Als Pfarrerin freue ich mich, wenn jetzt im November an vielen Orten Gottesdienste gefeiert werden, die sich dem heiligen Hubertus als dem Schutzpatron der Jäger und Forstleute widmen. Zwar spielt für mich als Protestantin die Verehrung von Heiligen keine so große Rolle, wie für die katholischen Glaubensgeschwister, grundsätzlich kennt aber auch die evangelische Konfession Heilige als Vorbilder im Glauben und im Handeln.
Die Hubertuslegende erzählt von einer vielschichtigen Persönlichkeit: Hubertus als ein Mensch, der durch Schicksalsschläge Maß und Ziel seines Lebens aus den Augen verliert und schließlich durch eine Gottesbegegnung zurück findet zu dem, was ihn hält und trägt. Für mich ist Hubertus eine Symbolfigur für die Widersprüche und Grenzerfahrungen, die es in jedem Menschenleben gibt und dafür, wie jemand nach einer schlimmen Erschütterung Vertrauen und Zuversicht zurückgewinnt.
Berührend finde ich an der Erzählung, dass es dort ein Hirsch ist, aus dem Gottes Stimme für Hubertus hörbar wird – eine Begegnung mit der Natur, die ihn aufhorchen, innehalten und sich auf sich selbst besinnen lässt. Das ist eine Erfahrung, die ich selbst gut nachempfinden kann. Wenn ich im Morgengrauen oder abends allein auf dem Hochsitz bin, umgeben von nichts als dem Klang der Natur, hat das für mich auch eine spirituelle Dimension. Von der Welt als Schöpfung zu sprechen, meint ja nicht, rationale, naturwissenschaftliche Welterklärungsmodelle abzulehnen oder in Frage zu stellen, sondern etwas Existentielles: Das Leben als ein Geschenk und als etwas Verdanktes zu betrachten, das wir uns nicht selbst geben können. Wir Menschen sind nicht das Maß aller Dinge und haben doch eine Verantwortung dafür, mit uns selbst und dem Leben, das uns umgibt, sorgsam und liebevoll umzugehen.
Daran erinnert Hubertus und es ist mir wichtig, an diese Verbindung jagdlicher Tradition mit grundlegenden religionskulturellen Einsichten zu erinnern. Denn ich glaube fest daran, dass die Grunderfahrung, die in der Hubertuslegende steckt, auch den Menschen ins Herz sprechen kann, die sich selbst nicht so sehr mit kirchlichen Traditionen identifizieren können oder sich „religiös unmusikalisch“ (nach Max Weber) fühlen.
Vereinsarbeit und zivilgesellschaftliches Engagement
Als Christin und Pfarrerin ist es mir ein Anliegen, auf das Verbindende zwischen Menschen zu schauen und nicht auf das, was uns voneinander trennt. Seit meiner Jägerprüfung im Jahr 2018 engagiere ich mich deswegen im Verein – zunächst als Vorstandsmitglied und seit meinem Wohnortwechsel in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und der Mitgliederkommunikation. Ich denke, dass Vereine eine wichtige Säule des gesellschaftlichen Zusammenhalts im Ganzen sind. In einer Zeit, in der manche Grundfesten der liberalen demokratischen Ordnung unseres Landes fragil zu werden scheinen, erscheint es mir umso wichtiger, dass es zivilgesellschaftliche Institutionen wie gemeinnützige Vereine gibt, in denen ein respektvolles Miteinander über manche Meinungsverschiedenheiten und politische Differenzen hinweg gepflegt werden kann, weil man sich gemeinsam für eine Sache einsetzt.
Dass wir als Jägerschaft in der öffentlichen Wahrnehmung hin und wieder in einem schlechten Ruf stehen, ist ein Phänomen, dem man aus meiner Sicht in erster Linie mit einer guten Kommunikation begegnen kann – über das, was wir tun. Jagd ist nicht einfach nur ein „elitäres Hobby“, wie es manche Narrative suggerieren, sondern gelebter Naturschutz. Das zu vermitteln, beispielsweise mit Initiativen wie „Lernort Natur“, die in unserem Verein gerade neu im Aufbau begriffen ist, gehört ebenso dazu, wie in der Ausbildung von Jungjägerinnen und Jungjägern für das Thema „Waidgerechtigkeit“ zu sensibilisieren – den „Schöpfer im Geschöpfe ehren“ eben, wie es der alte Grundsatz besagt.
Titelfoto: Uwe Feith
Welche Waffe führst du und warum?
Ich führe eine Haenel Jäger 9, eine einläufige Kipplaufbüchse im Kaliber .308 Win. Eigentlich wurde sie für die Gebirgsjagd entwickelt, ich schätze sie wegen ihres geringen Gewichts und ihrer guten Führigkeit.
Welche Munition bevorzugst du und warum?
Im Moment verwende ich Sellier&Bellot, ein Teilmantelgeschoss. Das ist eher Zufall, mein lokaler Händler hat sie mir empfohlen und ich bin zufrieden. Aus ökologischen Gründen will ich aber demnächst einen Versuch mit bleifreier Munition unternehmen.
Womit gehst du immer zur Jagd?
Ich bin eine „Frostbeule“ und habe deshalb fast immer auch im Sommer einen Merinopulli an. Im Winter geht nichts ohne meinen geliebten Ansitzsack.
Was wird deine nächste jagdliche Anschaffung?
Meine nächste Anschaffung wird es wahrscheinlich nicht, aber ich träume davon, in späterer Zukunft doch einmal einen Jagdhund selbst auszubilden, wenn meine Lebensumstände es gestatten.
5 Antworten
Was Frau Dr. Scholz schreibt, hat mich berührt. Ich bin nicht evangelisch sondern gehöre der röm.-kath. Kirche an. Aber wie sie beschreibt, wie bei ihr die Jägerei, die Natur und der Glaube zusammengehören, hat mir gut gefallen. Eigentlich spricht sie meine eigenen Empfindungen aus.
Würde es nur mehr Menschen geben die so denken und leben. Danke Gruß Gerhard
Wahrung sollen nicht nur Landwirte oder Reiche Leute zur Jagd gehen,Es muss der Glaube zur Natur da sein wie schon Hermann Löns sagte.
Ich wünsche der Pastorin ein Weidmannsheil.
Vielen Dank für diese überaus schönen und ansprechenden Zeilen. Ich habe selten so harmonische, gewählte Worte über die jagdliche Motivation eines Menschen gelesen. Frau Dr. Scholz erscheint mir – gerade wegen Ihres Berufes – als eine ideale, begabte Botschafterin unserer jagdlichen Anliegen. Ich wünsche Ihr und Ihrem Mann alle Zeit Weidmannsheil, Geschick und persönlich alles Gute!
Ich kann die Naturverbundenheit von Frau Dr. Scholz sehr gut nachvollziehen. Mein Vater war bis zu seinem Tod 1999 leidenschaftlicher Nimrod und ist trotz seiner schweren Kriegsschäden nur aufgrund Naturverbundenheit und christlichem Glauben so alt geworden. Mit der Amtskirche hatte er aufgrund der dort immer wieder zu findenden Ablehnung der Jagd so seine Probleme. Ich bedaure sehr, dass er die promivierte Namensvetterin nicht kennenlernen durfte, denn dass hätte ihn sehr gefreut und mi vielem versöhnt. Ich wünsche Frau Dr. Scholz allzeit Waidmannsheil.